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Mentale Gesundheit

»Vor allem selbstständige Handwerker werden von Existenzängsten geplagt«

, Text von Felix Firme

Das Thema Burnout wird oft mit Bürojobs voller Meetings und Deadlines in Verbindung gebracht. Doch auch Handwerker können betroffen sein. Ein Gespräch mit der Psychotherapeutin Alev Usta-Bagran über Ursachen, Symptome und wie man trotz Stress einen Burnout verhindern kann.

Frau Usta-Bagran, ab wann spricht man eigentlich von einem Burnout? 

Ein Burnout liegt vor, wenn die Betroffenen den Anforderungen der Arbeit aufgrund ihrer Beschwerden nicht mehr gerecht werden können. Das muss nicht gleich eine Art Totalausfall sein. Oftmals ist es sogar eher ein „nicht mehr hinterherkommen“. Auch wenn die Ursache in der Psyche liegt, äußert sich ein Burnout auch immer in Form von körperlichen Symptomen.  

 

Von welchen körperlichen Symptomen sprechen Sie dabei? 

Man muss zwischen akuten und langfristigen Symptomen unterscheiden. Akute Symptome sind in der Regel leichter mit einem Burnout in Verbindung zu bringen. Viele meiner Patienten berichten zum Beispiel von Herzrasen und Enge um die Brust. Es fällt ihnen schwer, zu Atmen. Sie ringen praktisch nach Luft und verfallen in eine Art Schnappatmung. Ebenfalls häufig sind schwitzige Hände. Das alles kulminiert dann in einer Panikattacke. In diesem Moment wissen die Betroffenen oftmals gar nicht, warum sie sich so fühlen. Es ist eine unbestimmte, schwer zu definierende Angst, die sie überkommt. Einem Patienten von mir – ein Handwerker – ist das auf dem Weg zur Baustelle passiert. Er musste mit seinem Auto anhalten und konnte einfach nicht mehr weiterfahren. 

 

Und was sind langfristige Symptome? 

Dazu zählen vor allem ständige Müdigkeit und Energielosigkeit, die losgelöst von der Schlafqualität auftreten. Auch häufige Schmerzen an Kopf oder Rücken können ein Symptom sein. Letzterer ist bei Handwerkern sowieso oft strapaziert. Im Falle eines Burnouts sind die Schmerzen aber eher undefiniert und nicht so recht mit Fehlhaltungen auf Arbeit in Verbindung zu bringen. Oftmals zeigt sich ein drohendes Burnout auch in schweren Beinen, die sich ständig wie Blei anfühlen oder völlig kraftlos sind. Ein undefiniertes Unwohlsein, quasi ein innerer Widerstand, wenn man an die Arbeit denkt oder das Wochenende sich dem Ende nähert, sind ebenfalls deutliche Warnsignale.

Alev Usta-Bagran, Psychotherapeutin

Mein Name ist Alev Usta-Bagran. Nach meinem Bachelor im klassischen türkischen Gesang habe ich Psychologie studiert und im Anschluss eine Ausbildung zur Körper-Psychotherapeutin abgeschlossen (Core Energetics nach John Pierrakos) . Seitdem arbeite ich in privater Praxis und bin seit 2014 als feste Mitarbeiterin im MVZ Lio Berlin tätig. Seit Oktober 2024 habe ich meinen Magister in Psychotherapie-Wissenschaften.

Wer ist besonders anfällig für Burnout? 

Die Ursache für eine hohe Anfälligkeit liegt meist in der Kindheit begründet. Wer in einer Familie aufgewachsen ist, in der es Zuneigung nur dann gab, wenn man gute Leistungen, etwa in der Schule, erbracht hat, hat leider schlechte Karten. Denn auch im Erwachsenenalter versuchen diese Menschen der Zuneigung und Anerkennung quasi hinterherzujagen, indem sie all ihre Energie in die Arbeit stecken. Das geht sogar soweit, dass sie sich fast ausschließlich über ihre Arbeit definieren. Solche Menschen haben oftmals auch einen Hang zum Perfektionismus. Es gibt aber auch extrinsische Faktoren, die Burnout begründen. Zum Beispiel, wenn man der Haupternährer der Familie ist und das Gefühl hat, in einer finanziell unsicheren Situation zu leben.  

 

Welche beruflichen Faktoren, speziell im Handwerk, können problematisch in Bezug auf Burnout sein? 

Viele meiner Patienten, die im Handwerk tätig sind, werden von Existenzängsten geplagt. Das trifft vor allem auf selbstständige Handwerker oder jene in sehr kleinen Betrieben zu. Es gibt viel Konkurrenz, vor allem in Osteuropa, die die gleiche Leistung zu einem günstigeren Preis anbieten. Das führt dazu, dass Handwerker hier ebenfalls die Preise senken müssen. Um dennoch das gleiche Einkommen zu erwirtschaften, nehmen sie mehr Aufträge an als früher. Das führt zu einem ständigen Zeit- und Leistungsdruck. Zudem wird das Selbstbewusstsein angegriffen: Was bin ich und was ist meine Arbeit eigentlich Wert? Abseits davon neigen Handwerker, zumindest jene, die ich behandele, auch oft dazu, keine Pausen zu machen. Dabei sind gerade die wichtig für eine Burnout-Prävention. Übrigens ist die Fahrt zur nächsten Baustelle keine Pause! Gerade für ältere Handwerker ist zudem der technologische Fortschritt in den Gewerken manchmal sehr belastend. Es müssen ständig neue Dinge gelernt werden. Dinge, die früher eigentlich nichts mit dem eigenen Gewerk zu tun hatten. Einige fühlen sich davon konstant überfordert. 

 

Welche Rolle spielen Führungskräfte und Kollegen? 

Eine große Rolle. Ich sagte ja bereits, dass Menschen besonders anfällig sind, die gelernt haben, dass es Anerkennung nur durch berufliche Leistung gibt. Wird diese Anerkennung jedoch konstant vom Meister oder Vorarbeiter verweigert, ist das pures Gift für den Selbstwert des Betroffenen. In der Folge wird er noch härter arbeiten und noch weiter über die Grenzen der eigenen Belastbarkeit gehen, nur um endlich ein Lob zu erhalten. Wer als Führungskraft Burnout bei seinen Mitarbeitern verhindern will, sollte also regelmäßig Wertschätzung zeigen. Ein starker Zusammenhalt unter Kollegen ist ebenfalls enorm wichtig. Wir Menschen sind soziale Wesen und wollen Teil einer Gruppe sein. Sollte Ihnen auffallen, dass einer Ihrer Kollegen sich auf einen Burnout zubewegt, dann sprechen Sie ihn darauf an. Oft bemerken Betroffene gar nicht, dass es ihnen auffällig schlecht geht. Sie glauben, dass das normal sei und jeder so empfindet. 

»Die meisten hoffen, dass es mit einer vierwöchigen Kur getan ist und sie danach wieder voll einsatzbereit sind. Aber das ist leider nur Wunschdenken. Bis zur Heilung vergehen oft zwei oder drei Jahre.«

Wie kann man einem Burnout vorbeugen? 

Präventiv tätig werden geht nur, wenn man bereits ein gewisses Bewusstsein für die eigene Situation und die eigenen Bedürfnisse hat. Leider fehlt dieses Bewusstsein den meisten Menschen, bis es zu spät ist. Wenn man aber Glück hat und zum Beispiel durch Kollegen auf die eigene Situation aufmerksam gemacht wurde, gibt es einiges, was man tun kann. Alles dreht sich dabei um Entspannung. Ein Spaziergang in der Natur wirkt beispielsweise wahre Wunder. Ich weiß, viele nehmen das nicht ernst, weil es gratis und viel zu einfach ist. Aber Studien zeigen immer wieder, welchen positiven Einfluss das auf unsere Psyche hat. Ein Spaziergang in der Stadt oder an einer Straße hat übrigens nicht diesen Effekt. Ansonsten sind Entspannungsübungen wie Chi Gong oder Tai Chi empfehlenswert, aber auch regelmäßige Massagen. Auch Sport hilft. Allerdings tendieren leistungsorientierte Menschen dazu, alles auf Selbstoptimierung und Bestwerte zu trimmen. In diesem Fall ist Sport sogar kontraproduktiv. Bei all diesen Maßnahmen spielt Routine eine wichtige Rolle. Am besten jeden Tag und zur selben Zeit. 

 

Was sollte ich tun, wenn ich trotzdem ein Burnout bekomme? 

Wenn sie beispielsweise von einer Panikattacke erfasst werden, wie ich sie oben beschrieben habe, dann sollten sie sofort zum Hausarzt gehen. Die Kollegen dort erkennen die Situation meist schnell und können sofort leichte Antidepressiva verschreiben. Auch ein Anruf bei der eigenen Krankenkasse hilft. Manchmal kommt man dadurch schneller an Therapieplätze, da die Krankenkassen Kooperationen mit bestimmten Praxen unterhalten. Im privaten Umfeld können Sie auch einen Freund anrufen. All das kostet Betroffene viel Überwindung. Die meisten trauen sich nicht, um Hilfe zu bitten. Es ist aber absolut notwendig, sonst wird es nur schlimmer. 

 

Wenn ich einen Therapieplatz bekomme, wie lange dauert die Behandlung? 

Die meisten hoffen, dass es mit einer vierwöchigen Kur getan ist und sie danach wieder voll einsatzbereit sind. Aber das ist leider nur Wunschdenken. Bis zur Heilung vergehen oft zwei oder drei Jahre. Den Betroffenen fehlt oftmals ein grundlegendes Verständnis für die eigenen Bedürfnisse, ein Gefühl für die eigene Psyche und den eigenen Körper. Das alles muss mit viel Zeit und Geduld gelernt werden. Stellen Sie sich ein Auto vor, das 30 Jahre lang nicht beim TÜV war. Das ist auch nicht mit einer Fünf Minuten-Reparatur wieder flott zu kriegen. Und auch nach der Therapie hört die Selbstfürsorge nicht auf. Die Routinen, die man sich im Laufe der Behandlung angeeignet hat, müssen auch danach fortgeführt werden – ein Leben lang.

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